Die Zahl des Tieres

Die Zahl des Tieres, Heinlein, Rezension
Robert A. Heinlein

Spätestens mit “Die Zahl des Tieres” aus dem Jahr 1980 – Auszüge des Buches sind ein Jahr vorher im Magazin “Omni” veröffentlicht worden – begann Heinlein seine Anhänger wie Kritiker zu spalten.  Mehr und mehr hat er sich in den siebziger Jahren von der futuristisch realistischen Erzählstruktur abgewandt, bis er mit dem Bildungsroman „Die Leben des Lazarus Long“ sein Publikum provozierte. In mehrfacher Hinsicht wirkt „Die Zahl des Tieres“ wie eine interessante, wenn auch schwierig zu lesende Variation einzelner Handlungsbereiche aus „Die Leben des Lazarus Long“. In Letzterem  geht es um einen Mann, der das Leben so sehr liebte, dass er erstens nicht sterben wollte und zweitens mittels einer geplanten Zeitreise zu seinem eigenen Vorfahren geworden ist. Am Ende von „Die Zahl des Tieres“, welche die Anzahl der möglichen, aber nicht unbedingt erreichbaren Paralleluniversa beschreibt,  begegnen die absichtlich Pulpcharakteren nachempfundenen Protagonisten eben diesem Lazarus Long, der langmütig die sehr losen Handlungsstränge zusammenzufassen sucht. Auch die Idee der „Zeitreise“ wird in diesem umfangreichen Roman angesprochen, wobei es sich eher wie bei Fernsehserien in der Tradition von „Sliders“ nicht um eine klassische Reise durch die Zeit handelt, sondern wie schon angedeutet, um eine Expedition entlang einer eher fiktiv angelegten Achse, an deren Ende immer mehr mögliche wie dem Leser aus anderen Werken bekannte fiktive Universen handelt.    

Der Leser darf das Geschehen aber nicht zu ernst nehmen. Im ersten Teil des Romans macht Robert A. Heinlein vom ersten Satz an deutlich, dass er sich an einer Hommage und leider nicht wirklich geglückten Parodie auf die Pulp Science Fiction der dreißiger und vierziger Jahre versucht hat. Es ist eine doppelte Ironie, dass Heinlein während seiner ersten Phase als Schriftsteller immer wieder versucht hat, den von ihm mehrfach erwähnten Magazinen zu entkommen und zu den Buchregalen zu wechseln. Das er mit einem derartig umfangreichen, teilweise geschwätzigen und die Idee einer stringenten Handlung unterminierenden Roman zu diesem Genre - wenn auch es ins Lächerliche ziehend - zurückkehren sollte, wirkt befremdlich.

Viele halten vor allem die Romane nach „The Moon is a harsh Mistress“ für oberflächlich strukturiert und vor allem aufgrund der sexistischen Ansichten Heinleins, bei denen er immer wieder nur impliziert, aber niemals expliziert in die Details gehen, für einfach niedergeschrieben und absichtlich in die Länge gezogen. Ausgehend von „Die Zahl des Tieres“ ist diese Betrachtung nicht richtig. In einem sehr folgenden Bücher „Die Katze, die durch Wände geht“ wird Heinlein die Idee eines ewigen Kreislaufs, des Ouroboros, noch einmal aufnehmen und vor allem in der zweiten Hälfte des Plots verfeinern. Aus seinen früheren Büchern hat er die teilweise belehrenden Monologe übernommen und verfeinert sie mit den Ideen/ Thesen des Solipsismus, dem erkenntnisorientieren Standpunkt, das nur das eigene Ich existiert und die Außenwelt wie auch andere Menschen keine eigene Existenz darstellen. Aus diesem schwierig literarisch umzusetzenden Grund hat sich Heinlein auch entschlossen, den Plot im Grunde aus vier Perspektiven und damit auch vier Ich- Erzählern zu schreiben, die meistens nur über Dialoge interagieren und streng genommen dem Leser die Möglichkeit geben, sie isoliert voneinander zu betrachten. Heinlein macht dabei den Denkfehler, die vier einzelnen Spannungsbögen nicht voneinander zu isolieren und so der strengen Auslegung der Theorie folgend vier einzelne Geschichten zu erzählen, die unabhängig voneinander funktionieren und doch auch ein gemeinsames Ganzen bilden könnten. Die Idee, den Plot in sehr offener Tagebuchform zu erzählen, funktioniert vor allem an den spannungstechnisch variablen Stellen nicht sonderlich gut und Heinleins sehr ruhiger, zu wenig alternierender oder auch nur dynamischer Stil entfremdet den Leser noch mehr von den vier Protagonisten.

Dabei fängt die Geschichte ausgesprochen interessant ist. Absichtlich sind die vier Protagonisten nach bekannten Pulp Figuren bzw. ihren Schöpfern entwickelt worden. Zebadiah John Carter, die Programmiererin Dejah Thoris Burroughs Carter, ihr Vater Mathematik Professor Jacob Burroughs und schließlich Hilda Corners werden in Zebadiahs umgebauten Wagen „Gay Deceiver“ eine phantastische Reise antreten. Der Professor Jacob Burroughs hat den Wagen mit einer Art Kontinuum Gerät ausgerüstet. Zusätzlich hat die australische Armee Schutzeinrichtungen eingebaut. Das Gerät ermöglicht es, dank der n-dimensionalen non- euklitischen Geometrie sich in sechs Dimensionen zu bewegen. Unabhängig von der Reisen verschiedene fiktive Universen, zu denen als eines der ersten natürlich der Mars bzw. Barsoom aus Burroughs John Carter Romanen gehört, nimmt Heinlein einige Ideen aus der populären „Back to the Future“ Serie mit dem exzentrischen Professor und einem „Wagen“ als Reisegefährt vorweg.

Heinlein nimmt sich nicht die Zeit, die einzelnen auch dem Leser bekannten Universen wirklich auszuarbeiten. Diese oberflächliche Vorgehensweise ist in mehrfacher Hinsicht schade, da vor allem die Idee eines von Russen oder Briten kolonisierten und dominierten Mars ausreichend Potential für Parodien und Satire bilden. Stattdessen entscheiden sich die vier teilweise zu stereotyp beschriebenen Charaktere, alle möglichen Universen zu bereisen und dort nur wenige Minuten zu bleiben. Eine Idee, die als Film oder Fernsehserie besser als in Buchform umzusetzen ist.

Am Ende findet Heinlein einen Weg, den Norman Spinrad in „He walked among us“ erst Jahre später auf eine gänzlich andere Art und Weise gehen sollte. Er baut seinen fiktiven Handlungsbogen plötzlich und unerwartet um. Er lässt seine Figuren anderen Science Fiction Autoren begegnen und konfrontiert die Leser nicht unbedingt mit einer originellen oder auch nur pragmatischen Auflösung, sondern wagt absichtlich oder unabsichtlich eine Provokation. Das Ende entspricht dem Klischees der von ihm nicht immer erkennbar parodierten Pulpgeschichten und fügt sich in dieser Hinsicht nahtlos in Heinleins Absicht, aber nicht seinen autorentechnischen Plan ein.  Das Heinlein im Grunde seinen Kollegen und nicht immer Freunden wie Larry Niven, Pournelle, Ben Bova, Asimov und Clarke sowie Poul Anderson literarisch auf die Schulter schlägt und sie für ihre Schöpfungen in einem sehr ambitionierten, aber intellektuell nicht zufriedenstellenden Roman lobt, bedingt, dass der Leser diese zahllosen Anspielungen beginnend mit Barsoom und nicht in Oz endet auch  kennt oder erkennt.

Von der ersten Zeile an versucht Heinlein seine Leser in diese Richtung zu drängen und bis zu Lazarus Longs fast frustrierend erscheinenden Aufklärung bei der Stange zu halten. Erst rückblickend zeigt sich, dass nicht alle Szenen gelungen sind. Weniger Dialog, weniger ausführliche wie ermüdende Erklärungen hätten dem Plot gut getan. Auf der anderen Seite hat Heinlein hier vor allem Philip Jose Farmer positiv gesprochen imitiert und wie Moorcock versucht, ein besonderes Autoren übergreifendes Multiversum zu erschaffen, das für den Leser ohne Frage herausfordernd und ermüdend ist, aber wie bei „Die Katze, die durch Wände geht“ scheint der grandiose Erzähler Heinlein zwischen den einzelnen Kapiteln durch und zeigt, dass er augenzwinkernd immer noch eine der Größten des Genres ist. Aber größer als die Science Fiction ist er nicht und das ist vielleicht die offene Flanke dieses umfangreichen, aber mit einer gewissen Distanz auch lesenswerten Epos.          

  • Broschiert: 747 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (1998)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404232062
  • ISBN-13: 978-3404232062