Himmelsjäger

George Benford & Larry Niven

Die Kooperation von George Benford und Larry Niven - der in den letzten Jahr nur noch als Co- Autor aufgetreten ist - "Himmelsjäger" ist nur der erste Teil einer Duologie. Eine Publikationsform - im Grunde ein zwei geteilter Roman, der aufgrund des großzügigen Satzes sowohl der deutschen als auch der englischen Originalausgabe zumindest als ein Band hätte veröffentlicht werden können -, die spätestens von Dan Simmons "Hyperion" Romanen und sehr viel passender von Paul McAuleys "Der stille Krieg" populär gemacht worden ist. Im Original heißt der Roman "Bowl of Heaven" und dieser Titel passt sehr gut zu einer interessanten künstlichen Schöpfung, welche die Raumfahrer der Erde profan als "auf die Seite gestellten Wok mit einem Loch in der Mitte" tituliert haben. Als Autoren scheinen sich Benford und Niven hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen eher weniger zu ergänzen. Beides sind klassische Ideenautoren mit einer Schwäche bei der Charakterisierung ihrer Protagonisten. In dieser Hinsicht ist "Himmelsjäger" ein gerade zu klassisch klischeehafter Benford oder Niven. Von Larry Niven scheint die Idee zu stammen, ein modernes Äquivalent seiner "Ringwelt" zu erschaffen. Um die Evolution der "Wok" Evolution scheint sich eher Benford gekümmert zu haben. Als Kombination bietet "Himmelsjäger" auf einem ansprechenden Niveau eine Exkursion in eine phantastisch künstliche Schöpfung, die allerdings vom Überlebenswillen und den - Fähigkeiten der Menschen/ Raumfahrer als kontinuierlich primitive, aber unterschätzte Spezis an einigen wichtigen Stellen in der zweiten, deutlich dynamischeren, aber auch wenig faszinierenden Hälfte des vorliegenden Romans unterminiert wird.

Der Weg ist in diesem Fall nicht das Ziel. Der Leser begleitet die Besatzung der “Sunseeker“ während ihres letzten Abends auf der Erde. Melancholische Gefühle steigen auf, ihr Abschied – es handelt sich nicht um die erste Expedition zu potentiell bewohnbaren Planeten – wird vom Team und den Technikern fast zu euphorisch überschwänglich gefeiert. Es folgt ein harter Schnitt. Die „Sunseeker“ ist viele Jahre unterwegs, als einige wichtige Besatzungsmitglieder geweckt. Auf dem Weg zu einer zweiten Erde namens „Glory“ ist nicht nur ein fremdartiges, gigantisches Artefakt entdeckt worden, das Schiff hätte wahrscheinlich aufgrund eines unerklärlichen und in der ersten Hälfte des Doppelromans auch nicht erklärten Geschwindigkeitsverlustes sein Ziel mit einer lebenden Besatzung – egal ob Tiefschlaf oder nicht, die Vorräte hätten nicht ausgereicht – niemals erreicht. In dieser Hinsicht kommt die Begegnung mit dem phantastisch Unbekannten gerade recht.

Der fliegende Wok mit einem Durchmesser, welcher der Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne entspricht, zieht die Besatzung der „Sunseeker“ in mehrfacher Hinsicht an.  Die beiden Autoren beschreiben das künstliche Wunderobjekt aus einer Mischung des staunenden Kindes in einem wissenschaftlich technischen Wunderland sowie dem Stolz heraus, etwas noch fremdartigeres als die berühmte „Ringwelt“ erschaffen zu haben.  Die aus dem Original übertragene Graphik soll die Komplexität dieses Wunders noch mehr verdeutlichen. Die zweite Hälfte des Buches wird entweder von der Expedition einzelner Besatzungsmitglieder – hier dominieren der erfahrene Biologe Cliff Kammath und seine Lebensabschnittbegleiterin Beth Marble die Szenerie. Wie bei der Erforschung der „Ringwelt“ werden die Protagonisten stellvertretend für die Leser mit unterschiedlichen Phänomenen konfrontiert. Dabei reicht das Spektrum von gigantischen Bergen über Wüsten bis zu Höhlen, die scheinbar die ganze künstliche Schicht dieser Welt durchdringen. Während in der Ringwelt die Atmosphäre durch die Drehung des Objektes gehalten werden konnte, verfügt der Wok über eine Art Schutzhülle, die für die „Sunseeker“ kurzzeitig geöffnet wird.  So interessant diese Expeditionsromane – siehe auch Clarkes erstes „Rama“ Werk – auch sein mögen, die Autoren müssen die Leser kontinuierlich mit möglichst technischen Wundern konfrontieren, um den Mythos dieser Schöpfung aufrechtzuerhalten. Und hier krankt zumindest die erste Hälfte des Romans, denn die Autoren verweigern dem Leser verschiedene Antworten nicht, sondern erweitern die Perspektive um zumindest eine außerirdische Rasse – Vogelähnliche Wesen -, welche die Eindringlinge mit einer Mischung aus arroganten Neugierde und Selbstüberschätzung beobachten. Dass es im Verlaufe dieser Beobachtungen nicht nur zu Begegnungen kommt, sondern viel mehr der aggressive Selbsterhaltungstrieb der Menschen Spuren auf dieser bislang von „oben“ herab angeordnet friedlichen Welt hinterlassen, steht außer Frage und gehört leider zu den schwächeren Aspekten dieses Romans.

Schon früh lernt der Leser im Vergleich zu den Protagonisten Memor kennen, den Dienstältesten Astronomen dieser Welt. Er zeigt nicht nur Interesse an den Fremden, er hilft, die eher verklausuliert präsentierte Geschichte dieser Welt ein wenig aufzuhellen. Memor lässt einen Teil der Menschen, welche die Oberfläche des Planeten untersuchen, gefangen setzen und beginnt sie zu untersuchen. Dass er dabei auch von den Menschen analysiert wird, gehört eher zu den Leserfreundlichen Ideen. Während Beth – wie es sich für ein derartiges Drama fast folgerichtig gehört – zu den Gefangenen gehört, gelingt ihrem Lebensgefährten mit einem kleinen Team die Flucht. Da die Fremden sie zuerst festgesetzt haben, dürfen sie auf ihrer Flucht auch Angehörige insbesondere von Memors Vogelvolk töten. Zwischenschnitte auf Memor implizieren, dass es sich dabei um ein Sakrileg handelt. Nicht ganz klar herausgearbeitet wird, warum Memor und die Seinen keinen nachhaltigen Kontakt mit den Menschen aufnehmen. Sie bewundern ihr primitiv aggressives Verhalten oder sind später überrascht, wie sie selbst auf der gigantischen Planetenoberfläche den eher rudimentären Überwachungssystemen mehr als einmal entkommen können. Benford und Niven bauen bei dieser im Grunde aus der Entfernung stattfindenden Konfrontation erstaunlich wenig Dynamik auf und vor allem geht der Reiz dieses faszinierenden, im Grunde alleine den Roman tragenden Gebildes aus der Perspektive der überforderten, plötzlich unbedeutend „Menschlein“ gänzlich verloren.

Auf der anderen Seite ermöglicht die Aufspaltung der Handlung – die eine Gruppe ist eher für die Action und Erkundung zuständig, die andere für die sozial soziologischen Gefüge -, verschiedene Fragen aufzuwerfen, die abschließend hoffentlich in der zweiten noch zu publizierenden Romanhälfte beantwortet werden. Verschiedene Ideen wie das Einsammeln verschiedener Völker und vor allem die biologische Ähnlichkeit zur irdischen Flora und Fauna werden zumindest angerissen. Mit Memors Vogelrasse präsentieren die Autoren im Kern die machtvollste Rasse dieser Welt. Die  unbekannten Schöpfer – keine unbedingt neue Idee – haben sie weniger etabliert als das die künstliche Evolution auf dieser „Sammelband“ sie an die Spitze gespült haben. Sie kennen sich mit der vorhandenen Technik, die interessanterweise sich eher auf irdischem Niveau trotz der gigantischen Schöpfung befindet, gut aus. Etwas verloren geht die Idee, das Memors Rasse sich in der Tradition Olaf Stapledons selbst dem Universum – innerhalb und indirekt auch außerhalb der auf einem unbekannten von Gravitationswellen bestimmten Ziel befindlichen Welt – evolutionär angepasst haben. Ein Schritt, der den Menschen in ihren Augen noch bevorstehen müsste. Auf der Actionhandlungsebene geben die primitiven Menschen im Grunde die richtigen Antworten, wenn sie ihren Häschern immer wieder entweichen können. Zu den schönsten Passagen des ganzen Romans gehört die Schaffung eines Sandgleiters, mit dem sie die endlosen Wüsten durchqueren können.  Dabei wird es ihnen allerdings auch ein wenig zu leicht gemacht und manchmal greifen Larry Niven und George Benford zum Leitwesen des ganzen Plots auf kleine „Deus Ex Machina“ Hilfen zurück. Ansonsten wären die Menschen schon nach wenigen tausend Kilometern endgültig gestrandet und gescheitert.

Wie schon angesprochen fällt es schwer, einen halben Roman als Ganzes zu beurteilen. Es bleibt abzuwarten, ob und in wie  weit die zahlreichen, in Hinblick auf sein bisheriges Werk eher von George Benford aufgeworfenen evolutionären Fragen vor dem Hintergrund von wahrscheinlich Larry Nivens am meisten seit der Ringwelt neugierig machender Schöpfung beantwortet werden. Was sich am Anfang ein wenig zu distanziert, zu belehrend und teilweise zu statisch – Flug, Katastrophe, Entdeckung, Exploration – entwickelt, wird auf den letzten Seiten zumindest zu einem oberflächlich unterhaltsamen Garn, das so viele Fragen offenlässt, das der Leser die zweite Hälfte dieses überdurchschnittlichen, aber als Ganzes nicht an „Ringwelt“ oder Benford frühe „Galactic Center Saga“ heranreichenden Buches auf keinen Fall versäumen möchte.                  

Originaltitel: Bowl of Heaven
Originalverlag: Tor Book
Aus dem Amerikanischen von Andreas Brandhorst

Deutsche Erstausgabe

Paperback, Klappenbroschur, 544 Seiten, 13,5 x 20,6 cm, 2 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-453-31493-1