Isra Isle

Isra Isle, Rezension, Titelbild
Nava Semel

Nava Semmels Roman „Isra Isle“ – der Originaltitel ist schon ein Wortspiel per se- ist schon 2004 in Israel veröffentlich/ geschrieben worden. Erst zwölf Jahre später ist diese Alternativweltgeschichte ins Englische übersetzt worden. Lavie Tidhars vor allem stilistische Anspielungen sind klar im vorliegenden Buch zu erkennen.

Der Roman ist nur bedingt chronologisch zu lesen. Drei große Kapitel fließen auf eine erstaunlich provokante Art und Weise zusammen. Die historischen Hintergründe werden im mittleren im Grunde zu langen Abschnitt erläutert.  

Aus der Sicht eines ambivalenten Beobachters und Begleiters wird die Idee beschrieben, die ein Jude auch historisch belegt im Jahre 1825 hatte. Dieser Noah wollte eine große Insel mitten in einem schwer zu querenden Fluss in den USA von den Indianern kaufen. Sie liegt in unmittelbarer Nähe der Niagara Fälle. Auf der Insel sollte eine neue Heimat vor allem für die europäischen Juden entstehen.  Daher auch der Titel nicht nur des Buches „Isra Isle“, sondern im übertragenen Sinne eine direkte parallele zu Israel, dessen Gründung im Nahen Osten im abschließenden in einer Parallelwelt spielenden Geschichte als idiotische Idee abgetan wird. Das Schicksal hat in dem ersten Kapitel mit den historischen Bezügen die Insel im Schatten der großen Wasserfälle getroffen… kein Jude wollte sich dort ansiedeln.

Die Geschichte beginnt im September 2001 und sie endet auch in einem alternativen September 2001. Simon T. Lenox ist ein amerikanischer Polizist, der sich auf die Suche nach verschwundenen Menschen spezialisiert hat. Er ist eine fast eindimensional klischeehafte Film Noir Figur. Dreimal geschieden, ein Alkoholiker, einsam, verbittert, zynisch. Er will eigentlich nicht den verschwundenen Juden Liam Emanuel suchen. Er kann mit den Juden per se nichts anfangen, auch wenn er aufgrund seiner unpolitischen Meinung kein Antisemit ist. Er ist vom Leben enttäuscht und sucht irgendwo einen Fluchtort, den es in dieser Form eigentlich gar nicht geben darf.

Emanual ist erst vor kurzem in den USA gelandet. Mit Hilfe seiner zukünftigen kurzzeitigen neuen Freundin bei einer anderen Behörde kann Lenox die Witterung aufnehmen und Emanuel in der Nähe der Wasserfälle treffen. Es entwickelt sich eine seltsame Freundschaft, denn Liam Emanuel  ist ein Nachfahre Noahs und hat die Insel im Strom geerbt.

Obwohl der Fokus vor allem auf Lenox liegt, spielt die jüdische Kultur eine wichtige Rolle. Der Hintergrund kommt dem Leser bekannt vor. Alle historischen Begebenheiten scheinen korrekt zu sein.  Der 11. September spielt in dieser Welt aber keine besondere Rolle.  Positiv ist, dass die Autorin bei der absichtlichen Platzierung ihrer Geschichte um dieses historische, für den Plotverlauf aber auch irrelevante Datum nicht zu viel Geschrei macht. Auf der anderen Seite fragt sich der Leser, warum sie es überhaupt für ihre Geschichte genommen hat. Insbesondere in der jüngeren jüdischen Geschichte hätte es andere historische Ereignisse gegeben, die besser in den Fokus gerückt hätten werden können oder müssen.

Der lange absichtlich distanziert sekundärliterarisch sehr ruhig erzählte Rückblick mit dem Kauf der Insel und der zugrundeliegenden, auf den ersten Blick absurden Idee führt schließlich zum finalen Kapitel, in eine Welt, die keinen Holocaust gekannt hat. Natürlich fragt sich der Leser, wie diese Überblendung von der einen Welt zur Anderen nur durch die Aufarbeitung historischer Tatsachen zustande gekommen ist, aber  hier liefert die Autorin genreuntypisch, aber in mancher Hinsicht auch konsequent keine Antworten ab. Sie impliziert ein wenig fragwürdig, dass sich durch das Aufrollen der Ereignisse die Welt verändert hat, auch wenn alle Figuren mit ihren Sorgen und Nöten gleich bleiben.

Im fiktiven September 2001 führt sie aber eine weitere Komponente ein, die kritisch zu sehen ist. Amerika hat eine  neue Präsidentin und sie ist Jüdin. Während des Wahlkampfs hat sie sich in religiösen Fragen zurückgehalten, jetzt zeigt sie ihren Glauben offen und reist zur markanten Insel, auf welcher einige Millionen Juden nicht unbedingt glücklich, aber wirtschaftlich einträglich leben. Sie sind wie es die ursprüngliche Intention gewesen ist aus allen Herren Länder vor allem während des Holocaust in die USA auf sicheren Fluchtrouten gekommen und haben dort ihre eigene Enklave geründet. Die Autorin geht aber in ihrem historisch ohne Frage ambitionierten, aber sehr oberflächlichen Roman nicht auf die Details ein. Viele Beschreibungen wirken vage bis bemüht, die einzelnen Szenen wie durch einen Schleier beschrieben und die über der Handlung liegende melancholisch phlegmatische Stimme scheint zu viel zu erdrücken als den Plot über ein Stillleben einer möglichen, aber anscheinend nicht wünschenswerten Alternativwelt hinaus zu forcieren.     

Obwohl die Insel in den USA liegt und obwohl es in dieser Welt für viele Juden keinen Holocaust gegeben hat, wirkt die politische Struktur ausgesprochen oberflächlich. Positiv wie negativ geht die Autorin nicht auf die politische Extrapolation eines Staates Israel ein. So hart wie es klingt, aber der wirtschaftliche Aufschwung des israelischen Staates hat auch mit einer nicht selten an Paranoia grenzenden Aufrüstung und der kontinuierlichen Beobachtung der Nachbarn zu tun. Aspekte, die bis auf die Vergänglichkeit der Insel in der fernen Zukunft aufgrund eines Nachlassens der Niagara Fälle, mitten im Herz der USA keine wichtige Rolle spielen. Anstatt Isra Isle entweder als eigenständige Nation auf amerikanischen Boden aber sehr viel stärker als ursprünglich geplant auch mit Eingeborenen und Verkäufern der Insel zu verbinden, bleibt sie oberflächlich und leider sich durch den ganzen Roman ziehend politisch unauffällig und distanziert. 

Vor allem weil es so viele potentielle Berührungspunkte gibt. Wie könnte sich die jüdische Kultur in einem Land entwickeln, in dem es keinen arabischen, aber einen indianischen Einfluss gibt?  In der Theorie gibt es in Israel auch keinen Rassismus, keine Verfolgung und schließlich keine Intoleranz. Wie in den USA. Aber ein geschickter Autor hätte diese Unterschiede zwischen den Floskeln der Politiker und den Realitäten der Gegenwart deutlich kritischer und nuancierter unter die Lupe genommen, um herauszuarbeiten, dass zwischen dem bekannten Israel und dem fiktiven Staat auf Isra Isle vielleicht weniger Unterschiede bestehen als man es auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Hinsicht kann die Autorin auch die geistigen Wände bei ihren Lesern nicht niederreißen und kann keine neuen Erkenntnisse vermitteln. Weil sie sich nur bedingt den wichtigen Themen wie Kultur und Heimat neutral und allumfassend auseinandersetzen kann. In dieser Hinsicht wirkt der vorliegende Roman teilweise wie ein verträumter Entwurf, dem ein umfassenderes Korsett fehlt.

In ihrem traumhaften, surrealistisch distanzierten, aber auch phasenweise herausfordernd ermüdeten Stil hat sich die Autorin vor allem Michael Chabons unterschätzten Roman „The Yiddish Policeman´s Union“ als Vorbild genommen.  Nur handelt es sich um einen Ermittler mit indianisch amerikanischen Wurzeln, der quasi als Mittler auch die jüdische Kultur kennen- und einige Vorurteile ablegen lernt. Obwohl sich der Roman vor allem an das eigene Publikum richtig und eine Übersetzung ins Englische eher eine Art Bonbon dargestellt hat. Vielleicht sind deswegen die neutralen Feinheiten nicht ausreichend genug herausgearbeitet worden.  

Die Figuren an sich sind schematisch.  Vielleicht ist das auch die Intention der Autorin, denn sie zeigt nachdrücklich auf, das unabhängig von der Rasse, der Herkunft und schließlich der eigenen Geschichte die Beziehung zur Heimat im Allgemeinen und einem Heimatort im Besonderen schwierig sind. Diese Erkenntnis lernen alle Protagonisten teilweise auf nicht unbedingt die harte, aber sehr nachdrückliche Art und Weise kennen. Vielleicht wirken sie deswegen in der bekannten Welt des ersten Kapitels wie auch in der nur bedingt fiktiven Parallelwelt des abschließenden Abschnitts genauso verloren wie im Grunde Fische außerhalb des Wasser im historisch fundamentalen  Mittelteil. Sie verblassen angesichts der eher implizierten, phantastischen Ereignisse, die auf einem heute vergessenen historischen Ereignis basieren.

Der intensive, ein wenig blümerante Stil; der Hang zu Beschreibungen und inneren Monologen ist für den Leser eine Herausforderung, aber dieser exotische Kosmos mit bekannten Wurzeln fordert nicht nur, sondern regt ihn zum Nachdenken an.  Und das ist ein großes Kompliment einer ungewöhnlichen Parallelweltgeschichte gegenüber. 

 

 

 

Übersetzung aus dem Hebräischen ins Englische Jessica Cohen

Mandel Vilar, Trade Paperback  (256p)

ISBN 978-1-942134-19-0