Das Himmelsschiff (Film und Buch)

Das Himmelsschiff, Titelbild, Rezension
Sophus Michaelis

Im Jahre 2006 begann das Det Danske Filminstitut mit der Restaurierung des dänischen Science Fiction Films “Das Himmelsschiff”. Inzwischen liegt der Film mit dänischen und leider anscheinend sehr verkürzten englischen Zwischentiteln auf DVD vor.  Der auf dem Drehbuch basierende Roman ist erst Jahre später erschienen und liegt inzwischen im Kleinverlag Dieter von Reeken als illustrierte Ausgabe vor.

Auch wenn es heute fast unglaublich erscheint, gehörte das kleine Dänemark vor und im Ersten Weltkrieg noch zu den wichtigsten filmproduzierenden Ländern. Neben „The End of  the World“ ist „Das Himmelschiff“ – in Englisch ist der Titel „A Trip to Mars“ gewählt worden  - eine der wenigen utopischen Filmproduktionen Dänemarks, wobei das Budget mit anscheinend 3 Millionen Mark auch überdurchschnittlich hoch gewesen ist.

Die Widerentdeckung nicht nur des Films, sondern auch der literarischen Adaption ermöglichen es, den pazifistischen Streifen auch historisch besser einzuordnen.

Der Drehbuchautor Sophus Michaelis hat sich nicht nur von den schrecklichen Ereignissen während des um Dänemark tobenden Ersten Weltkriegs beeinflussen lassen. Vielmehr scheint er die marsianische Gesellschaft den beiden Romanen Albert Daiber entnommen zu haben. Sowohl in „Das Himmelschiff“ als auch „Die Weltensegler“ – Daiber hat die beiden Teile zwischen 1910 und 1914 geschrieben – treffen Menschen auf eine anscheinend intellektuell hochstehende Zivilisation, deren Tradition eher an Griechenland denn an die europäische Gegenwart erinnern. In beiden Werken ist der greifbare Grat der Industrialisierung kaum vorhanden, der intellektuelle Stand dieser sich anscheinend ausschließlich vergnügenden und nicht mehr arbeitenden Gesellschaft dagegen überdurchschnittlich hoch.

Sowohl bei Daiber am Vorabend des heraufdämmernden Kriegs als auch in dieser Filmfassung sind die Bewohner auf dem Mars friedlich. Drehbuchautor Michaelis und sein Regisseur Holger- Madsen gehen sogar noch einen Schritt weiter.  Die humanoiden Marsianer sind ausgesprochene Pazifisten, die Sprengstoff und Explosionen nicht mehr kennen. So sind sie schockiert, als die Raumfahrer von der Erde einen Vogel aus der Luft schießen oder ihnen neben Wein Fleisch aus der Dose anbieten.  Drehbuchtechnisch wirken diese  Ideen neu, sie machen aber logisch wenig Sinn, da die Marsianer von einer gigantischen Plattform aus mit verschiedenen Teleskopen alle Himmelsrichtungen beobachten und damit auch wissen müssten, was sich auf der Erde abspielt. Die Marsianer sind aber auch Vegetarier, eine neue und ungewöhnliche Idee. Hinzu kommt, dass jegliche Form von Aggression impliziert anscheinend schon vor der Geburt ausgemerzt wird und eine Überbevölkerung durch Geburtenkontrolle verhindert wird. Holger- Madson greift in einigen Szenen durchaus aus eine große Anzahl von Statisten zurück, um zu verdeutlich, dass der Mars nicht nur aus öden Weiten besteht, deren Aufnahmen in einem Steinbruch südlich von Kopenhagen  stattgefunden haben.

   Von Albert Daiber sind verschiedene Ideen übernommen worden. Die Atmosphäre auf dem Mars ist atembar, die Kultur ist hoch entwickelt und die Männer wollten teilweise gar nicht mehr auf die Erde zurück. Interessant ist dagegen, dass Daibers Tübinger Professoren Intellektuelle sind und damit auch auf Augenhöhe mit den Marsianern kommunizieren können. Sie halten sich insgesamt drei Jahre auf dem Mars auf, bevor sie zurückreisen. In „Das Himmelschiff“ ist diese Zeitspanne nicht weiter extrapoliert worden.

Daibers Helden haben auf dem Mars einen Gegenentwurf zum deutschen Kaiserreich vorgefunden. Das Tempo der Verfilmung kann nur andeuten, dass es dem Drehbuchautoren und dem Regisseur in erster Linie darum gegangen ist, einen friedlichen Gegenentwurf zum in Europa tobenden Ersten Weltkrieg zu extrapolieren, wobei der zukünftige Raumfahrer und Sohn eines bekannten Astronomen gleich zu Beginn des Films  von einer offensichtlich militärischen Aktion zurückkommt und deutlich macht, dass er erst ein Jahr Urlaub genommen, später anscheinend seinen Dienst quittiert hat. 

Der größte Unterschied zwischen Daibers beiden Romanen und der opulenten Verfilmung ist die Ausgangslage. In beiden Arbeiten – wie auch bei Jules Verne oder H.G. Wells – handelt es sich um privat finanzierte Unternehmen.  Professor Planetarius – die Namen scheinen eher Programm in dem Film zu sein – hat ein Raumschiff Excelsior konstruiert.  Dr. Krafft ist sein Helfer. Er hat die nicht genannte Energie entwickelt, mit welcher das Raumschiff allerdings immer noch über einen Zeitraum von Monaten und zwölftausend Stundenkilometern durch das All eilen kann.   Sein Sohn Avanti Planetaros will als erster ins All aufbrechen.  Die Planeten dauern zwei Jahre und werden minutiös aufgezeichnet, wobei der Gegenspieler von Professor Planetarius nämlich Professor Dubius das ganze Unternehmen immer wieder der Lächerlichkeit Preis geben möchte.

Das Raumschiff startet schließlich von Kopenhagen aus in Richtung Mars. Vor allem die Luftaufnahmen aus Sicht des Raumschiffs sind immer noch eindrucksvoll und zeigen aus historischer Sicht ein Kopenhagen, wie es heute nicht mehr zu erkennen ist. Die eigentlichen Trickaufnahmen sind für die damalige Zeit revolutionär und nehmen einige Ansätze aus Fritz Langs „Die Frau auf dem Mond“ vorweg, wirken aber aufgrund des durchscheinenden Raumschiff in einem direkten Vergleich mit einigen anderen Stummfilmen dieser Zeit und vor allem den immer wieder gezeigten Großaufnahmen unterdurchschnittlich entwickelt.

Der Flug zum Mars ist eintönig. Sehr modern sprechen die Produzenten des Films einige aktuelle Probleme an. Die ewige Dunkelheit außerhalb des Raumschiffs – durch die Sichtscheiben gut zu beobachten – deprimiert die Mannschaft. Ein Amerikaner, der sich freiwillig gemeldet hat, verfällt dem Alkohol und zettelt eine Meuterei an, die nur der ein wenig schleimende Asiate an Bord verhindern kann.  Das Raumschiff besteht aus mehreren Räumen, die von der Kamera gut eingefangen werden. Der Regisseur hat sich dabei im Inneren an den U Booten dieser Zeit orientiert, während das  Äußere mit den das Gewicht des Fahrzeuges/ Flugzeuges niemals tragenden Flügeln als Gegenentwurf zu Daibers Ballon mit einer luftdichten Gondeln gestaltet worden ist.

Das Raumschiff landet auf dem Mars, der wie eingangs erwähnt nicht nur über eine hochstehende Kultur, sondern vor allem wie bei allen utopischen Stoffen dieser Zeit über eine atembare Sauerstoffatmosphäre verfügt.  Die Männer fühlen sich anfänglich von den absolut harmlosen Marsianer ein wenig bedroht. Wobei die erste Kommunikation schon schwierig ist. Während die Marsianer ihnen Früchte anbieten, wollen sie sich mit Wein und Fleisch revanchieren.  Bei den anschließenden gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt ein junger Mann ums Leben. Die Männer sollen im Tempel der Mediation durch den Weisheitsfürsten „bestraft“ werden, wobei die Tochter des Weisheitsfürsten und anscheinend Ältesten der Marsianer für sie sprechen möchte.

Strafe erfolgt in erster Linie durch Selbsterkenntnis.  Den Menschen wird ein Film gezeigt, der mit der Perfektionierung der Waffen bis in eine Art archaisches Mittelalter auch auf der Erde spielen könnte.  Da der junge Marsianer nur in eine Art Schockstarre gefallen ist, fällt eine echte Bestrafung aus. Die Erdenmenschen kommen aber zu der Erkenntnis, dass Gewalt falsch ist und legen ihre Waffen ein wenig theatralisch ab.

Anschließend integrieren sie sich perfekt in die marsianische Gesellschaft, wobei Avanti Planetaros sich in Marya verliebt. Über die Kultur der Marsianer erfährt der Zuschauer anschließend nur  noch wenig.  Am Baum der Sehnsucht träumt Avanti von der schönen Marya, während seiner bester Freund und Helfer an Avantis Schwester auf der Erde denkt. Im Wald der Liebe werden sie für die damalige Zeit relativ provokativ, aber noch platonisch Mann und frau. Auf dem Raumschiff wird es während der Rückfahrt eine Hochzeitskabine geben.   

Interessant ist noch eine Exkursion in den Bereich der passiven Sterbehilfe. Der Weisheitsfürst erkennt, dass er nicht mehr lange zu leben hat und lässt sich in ein abgeschiedenes Tal zum Sterben bringen, bevor seine Tochter zusammen mit den Menschen rechtzeitig zur Erde zurückkehrt, um die Denunziation von Professor Planetaros durch den weiterhin sein Gift versprühenden Dubius zu verhindern.

Am Ende ist der pazifistische Geist der Marsbewohner nicht nur in Gestalt der schönen exotischen Marya über die Erde gekommen und deutet ein neues, friedliches Zeitalter an.

Wie angedeutet zeigt der Film eine pazifistische, eine perfekte, aber in dieser Form auch im Grunde nicht lebens- oder überlebensfähige Gesellschaft, die scheinbar ihren Höhepunkt überschritten hat und zu degenerieren droht.  Damit die Botschaft des Films funktionieren kann, muss auf dem Mars alles gut, auf der Erde alles schlecht sein. Der Krieg scheint aber vorbei zu sein, so dass sich die Frage stellt, warum diese aktuelle und immer noch die Menschen erschütternde Idee nicht weiter ausgebaut worden ist.  Vor allem weil dem Gegenentwurf des Lebens auf dem Mars Energie fehlt. Es scheint sich um naiv Gläubige zu handeln, die ihren Intellekt, ihre Persönlichkeit bis auf den herausragenden Weisheitsfürsten und seine attraktive wie agile Tochter aufgegeben haben. Die Distanz zwischen den ebenfalls nicht unbedingt emotional überschäumenden jungen Männern von der Erde und den Marsianern könnte nicht größer sein. Was auf dem Papier funktioniert, wird durch die an Pantomime erinnernde Art der Darstellung noch überzogener und schließlich distanzierender.  

Technisch gesehen ist „Das Himmelschiff“ für einen fast einhundert Jahre alten Film immer noch sehenswert. Die Optik mit einer außerhalb der in Häusern spielenden Szenen sehr beweglichen Kamera ist immer noch überzeugend und Alexander Schirmanns Soundtrack geht schon ins Ohr. Die Flugszenen sowohl aus der Perspektive des Raumschiffs als auch schließlich auf das Modell sind annehmbar bis sehr gut.

Die Botschaft wird vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen und die grundlegende Handlung macht eine Reihe von deutlichen Sprüngen, aber die pazifistische Botschaft mit einem H.G. Wells „Things to come“ vorgreifenden Sendungsbewusstseins sowie einige Ideen der marsianischen Kultur – sowohl die Geburtenkontrolle als auch ausschließlich Vegetarier – sind für einen Film aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg immer noch modern bis diskutabel.

     

Erst knapp drei Jahre nach der Aufführung einer der teuersten dänischen Produktionen „Das Himmelsschiff“ erschien eine sehr lose, aber noch rudimentär erkennbare Buchadaption aus der Feder Sophus Michaelis. Dieter von Reeken hat für seinen schön zusammengestellten Band die Inhaltsangabe des Films auch reichlich bebildert aus dem entsprechenden Filmprogramm ans Ende des Romans gestellt.

 Kritisch gesprochen ist nur die Idee einer Reise zum Planeten Mars inklusiv einiger Missverständnisse mit den Marsianern zusammen mit einigen Charakternamen übrig geblieben. Avanti – inzwischen ein italienischer Staatsbürger, aber weiterhin auch ehemaliger Offizier – reist zusammen mit Dr. Kraft zum roten Planeten. Avanti nennt seinen Freund Kraft manchmal Professor Dubius, im Film ein opportunistischer gesonderter Charakter. Allerdings liebt er wie im Film die liebreizende, auf der Erde zurückgebliebene Corona.

 Während die Filmversion noch während des Ersten Weltkriegs entstanden den Gedanken des friedlichen Zusammenlebens vom roten Planeten zurück auf die Erde bringt, obwohl während allerdings in auf der Erde spielenden Szenen keine Waffen oder keine militärischen Auseinandersetzungen zu sehen sind, dreht Sophus Michaelis mit seinem drei Jahre später veröffentlichten Roman die Ausgangsprämisse komplett um.

 Der Leser lernt gleich Ercole Sabene kennen. Im Grunde ein friedlicher, sympathischer und anscheinend auch künstlerisch begabter Mensch, der für sein Vaterland im Ersten Weltkrieg aus Patriotismus und Überzeugung kämpft. An der Front wird er von einem Giftgasangriff überrascht und droht zu ersticken. Im nächsten Kapitel findet er sich an Bord der „Kosmopolis“ – und nicht wie im Film der „Excelsior“ – wieder. Der Leser ahnt es schneller als der Charakter. Die Besatzungsmitglieder haben ihn fast aus Versehen mit ihrem Hacken während des Abflugs in die Luft gerissen und so vor den giftigen Gasen gerettet. Reste haben sie aus seiner Lunge gespült. Jetzt befindet er sich mit der gemischten Besatzung auf dem Flug zum roten Planeten.

 Sophus Michaelis verzichtet in seinem Roman auf die Vorgeschichte. Der Leser wird an der Seite des nervlich überforderten Ercole Sabene direkt in das Geschehen gerissen und erfährt eine Reihe von eher rudimentären Informationen während des langen Fluges zum Mars. Wie im Film nimmt dieser Flug einen langen Zeitraum ein, aber im Gegensatz zum Film gibt es nur natürliche Herausforderungen wie einen Meteoritenschauer, während das Schiff mehrfach betont dem Mars entgegen fällt und keine Meuterei. In der Verfilmung ist das Motiv des Fluges, es der Öffentlichkeit zu beweisen und den technologischen Fortschritt über alle Grenzen voranzutreiben. Ohne es direkt auszusprechen, scheinen in Sophus Michaelis Adaption die Männer der Erde und ihrem militärischen Gehabe entfliehen zu wollen.

 Das hängt auch mit der Besatzung zusammen, die aus mehreren Nationen stammend teilweise kriegsversehrt ist. In einem kraftvollen Bild beschreibt Sophus Michaelis die Zusammenarbeit dieser Kriegskrüppel. Es handelt sich ausschließlich um Deserteure, wobei angesichts der implizierten Verletzungen diese Frage überzogen erscheint. Zusätzlich sind es alle Pazifisten, der größte Unterschied zum Film. Im Film sind es ja gewöhnliche, wenn auch gut gewachsene Menschen mit ihren natürliche Aggressionen – das bezieht sich auf ihren Jagdinstinkt und weniger den immer noch tobenden Krieg -  , die auf dem Mars auf eine pazifistische, über lange Zeit gereifte Marsheit treffen und deren Gedankengut schließlich während der Rückkehr zur Erde zurückbringen.

 Während des Flugs kommt es neben der angesprochenen Herausforderung eher zu einer Reihe von philosophischen Gesprächen über den Charakter der Menschheit und den tobenden Krieg als die bodenständige Beschäftigung mit der drangvollen Dunkelheit im All. Das Raumschiff wird ausschließlich von zu speichernder Sonnenenergie betrieben und es gibt anscheinend auch eine Kammer, wo die Besatzungsmitglieder im Sonnenlicht baden können, um ihre inneren Energien aufzuladen. Während des Meteoritenschauers müssen allen Fenster mit verschiebbaren Stahlplatten gesichert werden, was allerdings auch den Antrieb behindert. Später werden während des Rundgangs mit den Marsianern noch einige technische Raffinessen wie Sauerstoffrecycling oder eine perfekte Wasseraufbereitung angedeutet.

 Der Italiener ist auch der einzige Mann, der sich nach einer Frau sehnt und diese Männergesellschaft als eintönig und emotional abgestorben empfindet. Dr. Kraft schmachtet auch eher im Stillen nach seiner Corona und hofft, dass die Frau mal an ihn denkt, während er durchs All eilt. Diese Idee widerspricht wieder den Andeutungen, dass der Rest der Besatzung der Erde entkommen möchte und nähert sich wieder dem Drehbuch des Films an, in dem ja Corona neben Avantis Vater auf der Erde zurückbleibt und dem Flug der „Excelsior“ mittels Fernrohren so weit wie möglich zu folgen sucht.

 Auf dem Mars angekommen erwartet sie erstaunlicherweise kein roter Planet, sondern eher eine Art Sandwüste. Auch landen sie nicht mitten in einem Zentrum der marsianischen Bevölkerung, sondern in der Wildnis. Die Marsianer kommen auf Reittieren ihnen entgegen geflogen, die an Dinosaurier erinnern. Während es im Film keine echten Kommunikationsschwierigkeiten gibt und die Marsianer wie alte Griechen in entsprechenden Togen aussehen, hat sich Sophus Michaelis deutlich mehr Gedanken gemacht. Er verfremdet die Marsianer beginnend mit den stechenden, aber über gelbliche Blitzes des Blickes verfügenden Marsianer, wobei sie keine Augenbrauen haben. Anscheinend sind ihre Körper auch ein wenig größer als bei den Menschen, um ihre überlegende Intelligenz und Altersweisheit in Form einer reinen und edlen Hirnschale aufzubewahren.  Die Verständigung erfolgt anfänglich in einer universellen Gebärdensprache, die Kosmologik genannt wird. Der Autor gibt sich Mühe, diese Kommunikation sehr ausführlich, exotisch, aber für den Leser auch nachvollziehbar zu beschreiben. Erst wenige Momente später scheinen Menschen und Marsianer auf einer eher nonverbalen Ebene miteinander zu kommunizieren, wobei weder die Idee der Telepathie angesprochen noch eine direkte Kommunikation ausgeschlossen worden ist.

Die Marsianer sind Vegetarier und Antialkoholiker, wie eine aus dem Film direkt übernommene Szene beweist. Anschließend verschiebt Sophus Michaelis aber den Fokus. Während Avanti im Film einen Vogel vom Himmel schießt, um indirekt die Aggressivität der Menschen zu betonen und eines seiner Besatzungsmitglieder eine Handgranate wirft, um die auf sie einströmenden Marsianer abzuwehren, ist es im Buch ein wenig anders. Der offensichtlich deutsche Adlige versucht die Marsianer von einem Betreten des Schiffs abzuhalten. In seiner Panik feuert er erst einen Warnschuss ab, dann wirft er eine Handgranate und verletzt mehrere Marsianer teilweise schwer. Dafür wird er vor allem auch von Avanti gerückt, der in der Mitnahme von Waffen einen direkten Verstoß gegen den vor dem Abflug geleisteten Eid einer absolut friedlichen Mission sieht. Die Konfrontation zwischen den aggressiven Menschen und den pazifistischen Marsianern kommt im Film deutlich stärker zum Ausdruck, während Avanti schließlich unabhängig vom Verstoß gegen den mehrfach angesprochenen Pazifismus an Bord seinem Kameraden nicht nur tröstende Worte mit auf den Weg in die Gefangenschaft gibt, sondern ihm als sein Besatzungsmitglied Hilfe auch gegen die eigene Überzeugung verspricht. Menschen müssen unter allen Umständen zusammenhalten.

 Die Bestrafung in Form der Strafkluft ist deutlich drastischer als im Film. Allerdings sind es auch die Menschen mit ihrem überlegenen medizinischen Wissen, welche schließlich drastischeres verhindern. Bis auf den abschließenden Exkurs konzentriert sich Sophus Michaelis weniger auf Andeutungen oder Implikationen, sondern sucht schon für seine Protagonisten tatsächliche Antworten.

 Da er in seinem Buch ein unbeschränktes „Budget“ zur Verfügung hat, entwickelt der Autor im Gegensatz zu dem in dieser Hinsicht fast spärlichen Film eine ganze marsianische Kultur, deren Wurzeln aber noch aus dem Film zu erkennen sind. Das gigantische Observatorium ist genauso vorhanden wie die Botschaft zurück zur Erde. Die Stadt ist eher in Ehren gealtert und kein Bienenhaufen, wie man es von den irdischen Großstädten kennt. Im letzten Kapitel wird noch die Idee drauf gesetzt, das die kriegerische Vergangenheit der Marsianer Teile des Planeten verwüstet haben. Nicht umsonst brauchen die Raumfahrer sehr lange, um von ihrer Landestelle in die Stadt zu eilen. Es finden sich auch entsprechende Ruinen.

 Dieter von Reeken umreißt in seinem Nachwort einige Stärken und Schwächen dieser marsianischen Gesellschaft. Wie bei vielen Utopien basiert sie auf einer Art kommunistisch sozialistischen Gemeinschaftssystem, das erstens keine Ausbeutung kennt und zweitens die Menschen mit wechselnden Arbeiten – das richtet sich entweder nach dem Alter oder auch nur nach Tagesabläufen – vor allem körperlich zufrieden stellt. Eine richtige Industrie scheint es auf diesem Planeten nicht zu geben und die Vegetarier sind in erster Linie Selbstversorger, wobei Sophus Michaelis sogar die Idee der Veganer anreißt. Die Schattenseite ist eine konsequente Auslese. Während im Film eine Überbevölkerung durch Geburtsverzicht bzw. Geburtsverbot erreicht wird, spiegeln sich die in den zwanziger Jahren vor allem auch in Deutschland, aber auch Skandinavien bekannten und leider umgesetzten Ideen einer Euthanasie von verkrüppelten Kindern, dem Verbot des Sexs und schließlich auch eine radikale Auslese der genetisch Besten wieder. In einem Exkurs beschreibt Sophus Michaelis allerdings auch den marsianischen Rotlichtbereich, den aber nur sterilisierte Männer aktiv benutzen dürfen. Natürlich ist es der Italiener an Bord, der neugierig erscheint.

 Aus dem Film ebenfalls übernommen ist die Idee eines Selbstmords nach dem Erreichen eines bestimmten Lebenszieles. Während im Film nur der Weisheitsfürst Abschied von seiner Tochter nimmt, beschreibt Sophus Michaelis eine ganze Kultur, die diesem Kult huldigt. Auch hier will Ercole Sabene sein Wissen vervollständigen und stiehlt eines der Boote, mit denen die Marsianer in die Unterwelt reisen. Es ist eine dunkle Szene voller surrealistischer Bilder, die schließlich zu einem abrupten, der Intention des Films widersprechenden Ende führt, das nicht selten in der phantastischen Literatur angewandt worden ist. Natürlich lässt sich trefflich darüber streitend, ob ein derartig intensiver und vor allem vielschichtiger „Traum“  mit einigen Exkursen in Situationen, die Ercole Sabene nicht kennen kann, überhaupt möglich ist. Außerdem stellt sich die Frage, warum Sophus Michaelis dieses Ende gewählt hat, da er diesen für das Buch neu erschaffenen und immer wie ein Fremdkörper wirkenden Protagonisten auch ohne Probleme hätte wieder „entfernen“ und den Handlungsbogen zum Abschluss bringen können.

 Ercole Sabene steht  für die bittere Realität einer Welt, die den Schrecken des Ersten Weltkriegs noch nicht verdaut hat. Er ist ein Symbol für die grausamen Schicksale auf den Schlachtfeldern vor allem in Europa. Auf der anderen Seite ist er aber mit seiner Menschlichkeit, seiner Neugierde und seiner Sehnsucht nach echter weiblicher Gesellschaft auch die Figur, die am Natürlichsten erscheint und im Gegensatz zu den teilweise wie stilisierte Prototypen erscheinenden anderen Menschen und Marsianern das Leben liebt und zumindest impliziert die Liebe lebt. Vielleicht will Sophus Michaelis den eigentlichen Plot ignorierend mit diesem so abrupten, so düsteren Ende seine Leser aufrütteln und dem Weg des Pazifismus folgen, der sich aber wie ein roter Faden positiv durch den ganzen Roman zieht. Der einzige aggressive Mann wird durch die Strafkluft zu einem Seelsorger und Gutmenschen, der sich rührend um die Männer kümmert, die er in seiner Wut und Unvernunft basierend allerdings auch auf Missverständnissen und Angst verletzt hat.

 Zusammengefasst lohnt es sich, zuerst „Das Himmelsschiff“ auf DVD anzuschauen und dann diesen eher interpretierenden als begleitenden Roman zu lesen. Es sind immer wieder Ideen aus dem Film entnommen und durchaus philosophisch soziologisch interessant für die damalige Zeit extrapoliert worden. Dazu kommen vielleicht ein oder zwei Punkte, die heute eher schockierend und selbst in einer an sich so reinen, so hoch stehenden Kultur wie der Marsianischen befremdlich erscheinen. Aber Sophus Michaelis geht über diese Ideen nicht einfach hinweg, sondern versucht sie in sein theoretisch utopisches Gedankenmodel einzubauen, das die zweite Hälfte des Romans dominiert, während der Film sich in erster Linie auf eine Reihe traumhafter Bilder konzentriert, bevor die Liebesgeschichte inklusiv des Happyends auf der Erde einsetzt. Im Roman gibt es keine Liebesgeschichte. Nur Dr. Kraft sehnt sich zurück auf die Erde, um seine Corona wieder in den Armen zu halten.

 Stattdessen findet der Leser eine interessante utopische Gesellschaft, deren intellektuelle Wurzeln mit Einschränkungen in einigen anderen, im Nachwort genannten Werken zu erkennen ist, die aber grundsätzlich vor allem aus der Sicht der Nachkriegsgeneration im Gegensatz zu Kurd Lasswitz, Carl Grunert, Greg Percy oder dem angesprochenen Albert Daiber diese Ideale mit dem Schlusskapitel als Hirngespinste eines Sterbenden entlarvt und den Leser unsanft und brutal in die damalige Realität zurückholt. 

 Wie erwähnt ist diese Taschenbuchausgabe nicht nur reichhaltig bebildert, das informative Nachwort vermittelt die wichtigsten Hintergrundinformationen und de Abdruck der Filminhaltsangabe ermöglicht denjenigen einen direkten Vergleich, die nicht unbedingt die in Ehren ergraute, aber auch sehenswert Kinofassung des Films im Vorwege anschauen möchten.

 

 

 

   

Neuausgabe des 1926 erschienenen Romans nach dem dänischen Film Himmelskibet (1918)
Broschüre, Verlag Dieter von Reeken

193 Seiten, 26 Abbildungen, 2 Anhänge
 
ISBN 978-3-945807-10-1