Heute wählen wir Gesichter

Heute wählen wir Gesichter, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Der 1973 entstandene Roman “Todey we Choose Faces” ist laut verschiedenen Interviews ursprünglich von Roger Zelazny anders konstruiert geschrieben worden. Die zweite Hälfte sollte aus einem langen Rückblick bestehen, während die eigentliche Handlung vor allem ohne Vorbereitung in der ersten Hälfte des Buches für einige von Zelaznys späteren Arbeiten signifikant die normale Struktur des Romans unterminierend dominieren sollte. Desorientiert sollte der Leser in diese Zukunftswelt geschleudert werden. Wie es für das Werk des Amerikaners so typisch ist, spielt die Geschichte wie bei den meisten seiner reinen Science Fiction Romane in einer fernen Zukunft.  Aus heutiger Sicht wirkt der Roman teilweise wie ein interessanter Vorläufer der „Matrix“ Filme mit einem direkten Hinweis vor allem auf den dritten Teil der Filmreihe. In beiden Werken ist die Menschheit gefangen, bei Zelazny in einer Art ambivalenten Haus. Anscheinend gibt es diese Häuser auf insgesamt achtzehn Planeten. Die Grundidee dahinter ist brillant wie simpel. Der Mensch muss noch eine Art Evolutionsprozess durchlaufen, bevor er nach der Phase der Selbstvernichtung – ein direkter Hinweis auf die Gegenwart, in welcher der Roman entstanden ist – und einer Erziehung als friedliches „Geschlecht“   wieder sein Gefängnis verlassen und in der Galaxis leben kann.

Interessant ist, dass „Heute wählen wir Gesichter“ mit einem Telefonanruf endet, wobei nicht gänzlich klar ist, wer den Protagonisten Angelo di Negri – der Hinweis auf seine Arbeit als Mafiakiller ist eher verklausuliert – anruft und welchen Zweck dieses Gespräch wirklich hat. Der erste "Matrix" Film wird ja mit einer Art Telefonanruf eröffnet.

Für die Erstveröffentlichung als Taschenbuch musste Zelazny die ambitionierte, vielleicht auch ein wenig verspielte Struktur des Romans ändern und konzentrierte sich darauf, die Handlung trotz der strukturellen Änderungen ausgesprochen weitreichend wie umfangreich, aber deutlich stringenter und damit nachvollziehbarer zu erzählen.

Di Angelo bestimmt – auf die ursprüngliche Planung zurückgreifend – den ersten und den letzten Teil.  Seine eigentliche Identität wird erst in dem letzten Kapitel enthüllt, wobei geschulte Leser die Grundidee schon viel früher erkennen können. Di Angelo und Mr. Black bilden zwei die beiden Gegenpole dieser seltsamen Gesellschaft, wobei Mr. Black im übertragenen Sinne für nicht nur geistige, sondern auch körperliche Befreiung der Menschen steht, während Di Angelo den Status Quo des Hauses und seiner Bewohner erhalten muss. Verbunden werden nicht nur diese beiden wichtigen Protagonisten durch eine Art Schaltbrett, das Di Angelo bedienen darf und muss, um die Menschen unter Kontrolle zu halten. Auch in „Herr der Träume“ spielt diese Schalttafel als Mittler zwischen der futuristischen Realität und den teilweise paranoiden Träumen der Patienten eine wichtige Rolle.  Die Schwäche dieses Abschnitts ist, dass mit jedem Ziehen eines der Hebel quasi eine Facette der verschiedenen Persönlichkeiten/ Inkarnationen aktiviert und aber zu einem Ganzen zusammenfügt. Daher wirkt seine Aktion der Entwicklung gegenläufig. Sie erscheint aber notwendig, um den ein wenig fahrig wirkenden Plot zusammenzuführen.

Im ersten Teil- durch die Struktur eher über den Handlungsbogen verstreut – greift Negri dank einer schwer bewaffneten Raumkapsel einen Planeten an. Anschließend geht der Angriff mit gepanzerten Bodenfahrzeugen weiter. Als er an den Verteidigungsanlagen zu scheitern droht, verlässt er seinen Panzer mit einer Handwaffe, um schließlich mit einem Stillet abschließend bewaffnet den „Feind“ zu erledigen.  Dieses absichtlich klassisch klischeehafte Science Fiction Szenario wird wie eingangs erwähnt durch eine Art Wechsel der Realitäten aufgelöst, in dem das Opfer dem Täter erklärt, dass er auf der einen Seite hinsichtlich des Mordes am Körper erfolgreich gewesen ist, den „Geist“ aber nicht eliminieren kann.

Der Mittelteil – in der jetzigen Struktur zieht es sich als roter Faden durch den ganzen Roman – wird in der Ich- Erzählerperspektive erzählt. Hinsichtlich des Endes ist diese erzähltechnische Aufspaltung der Erzählebenen ungewöhnlich, soll aber von Roger Zelaznys Intentionen ablenken.

Während Negri von außen gelenkt wird, ist dieser Erzähler Mitglied einer Art Geheimorganisation innerhalb des Hauses.  Anscheinend ermordet jemand die wichtigsten Köpfe des „Hauses“, wobei es sich dabei ausdrücklich nicht um Menschen handelt, sondern sie zu der Seite gehören, welche das Haus als Erziehungsmaßnahme für die Menschen erschaffen haben.  Zelazny bleibt hinsichtlich der Beschreibung des Ich- Erzählers genauso ambivalent wie in Bezug auf seine Intentionen. Am Ende führt er in dieser Hinsicht die beiden Handlungsstränge zusammen, ohne abschließend zu implizieren, das es sich um den gleichen Akt nur aus zwei Perspektiven erzählt handeln könnte. Das macht die Lektüre absichtlich schwieriger, aber nicht unbedingt interessanter.

Unabhängig von diesen zwischenmenschlichen Beziehungen, die Zelazny inklusiv einer Art Romanze in einem direkten Vergleich zu einigen anderen seiner Bücher nicht unbedingt im Griff hat, erscheint die Idee das Hauses für einen in den siebziger Jahren entstandenen Roman interessant.

Die Menschen werden in diesen Häusern zum Schutz ihrer Umgebung „gefangen“. Während die meisten es stoisch hinnehmen, gibt es natürlich eine kleine Gruppe, die auf der Selbstbestimmung pocht und mittels terroristischer Aktionen sogar Wände sprengt und damit einen Blick auf die Umgebung ermöglicht. Im Gegensatz zu den „Matrix“ Filmen – um ein Beispiel zu nennen – werden sie nicht in einer Art künstlicher Stasis gehalten, sondern scheinen in diesen gewaltigen Häusern – die verfügen über einzelne Flügel mit getrennten Wohn- und Lebensräumen – zu leben. Sie müssen nicht arbeiten, werden nicht durch Suggestionen manipuliert. Sie sollen sich in dieser künstlichen Umgebung entwickeln, zu besseren Wesen, aber nicht unbedingt Menschen werden. Zelazny betont diese zu forcierende Eigenentwicklung opportunistisch immer wieder, ohne sie mit Fakten zu untermauern. Dadurch wirkt sie angesichts der ablaufenden Handlung auch ein wenig zu statisch und die Idee des Hauses wird pragmatisch eingesetzt. Ein wenig mehr Hintergrund hätte vor allem angesichts der zahlreichen offenen Fragen und Möglichkeiten  der Handlung sehr gut getan.

So bleibt beginnend mit dem effektiven selbstironischen Titel ein solider Zelazny Roman über, der wie seine Kurzgeschichten vor Ideen übersprüht, die aber an der Grenze des Surrealismus zu wenig effektiv in eine laufende Handlung einbezogen worden sind, so dass „Heute wählen wir Gesichter“ insbesondere in der kaum zu verstehenden Anfangsphase sehr viel Geduld vom Leser verlangt. In der Mitte des Buches ordnet der Amerikaner seine Gedanken, um dann wieder abzuschweifen und zu viele Splitter aufzugreifen anstatt den roten Faden kontinuierlicher zu Ende zu bringen.     

  • Taschenbuch  161 Seiten
  • Verlag: Heyne, (1975)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453303504
  • ISBN-13: 978-3453303508