Binti

Binti, Titelbild, Rezension
Nnedi Okarafor

„Binti“ ist die mit den wichtigen Preisen ausgezeichnete Auftaktnovelle einer inzwischen zu einer Trilogie ausgebauten Serie. Die deutlich längere zweite Geschichte „Binti: Home“ baut nicht nur direkt auf den eher angedeuteten Ereignissen dieser Novelle auf, wie alle relevanten Charaktere wirkt sie wie eine kreisförmige Erweiterung.Der dritte Teil "The Night Masquerade" versucht vor allem die sozialen Komponenten aus einer anderen Perspektive zu betrachten und kommt trotzdem zu einem ambivalenten Ergebnis. Im Herbst 2018 wird Cross Cult die drei Novellen in einem Taschenbuch zusammengefasst auf deutsch veröffentlichen.

Handlungstechnisch springt die schon mit „Lagune“ Afrika ein lebendiges Portrait bauende Autorin in beiden Arbeiten zwischen Vergangenheit und Zukunft im sozialen Kontext hin und her. Aber konsequent verweigert sie in „Binti“ abschließende Erklärungen und konzentriert sich auf die ungewöhnliche Begegnung zwischen der von einem extrem kleinen Stamm mitten in der afrikanischen Wüste stammenden Binti und einem/ einer Außerirdischen, die nicht nur wegen ihrer ambivalenten Beschreibung Medusa genannt wird. Begegnung zwischen Afrikanern und Fremden sind nicht selten in ihrem inzwischen umfassenden Werk. Aber sie schafft es, diese „First Contact“ Geschichten immer wieder anders zu gestalten. Und wenn die erste Begegnung mit dem Fremden an „Alien“ erinnert, dann ist diese Hommage als Grundlage einer sich gänzlich anders entwickelnden, teilweise aber auch auf Zufälle angewiesenen Geschichte Absicht.

 Binti ist die erste Frau, im Grunde das erste Mädchen, das die engen Grenzen ihres Stammes verlässt und zu den Sternen fliegt. Sie ist hoch intelligent, verfügt über eine mathematische Begabung und ist deswegen ausgesucht worden, an einem entsprechenden Programm teilzunehmen. Gegen den Willen ihrer Eltern. Gegen die Tradition ihres Stammes, der eher nach innen gekehrt ist. Die Autorin hat ihre Protagonistin dem Stamm der Himba zugeordnet, die in Namibia leben. Auch wenn Binti immer wieder Eigenarten ihres Stammes dem Leser stellvertretend für die Fremden erläutert, baut die Autorin auch einige schriftstellerische Kompromisse ein. Die Himba sind eine Minderheit selbst in Afrika. Sie leben in kleinen Dörfern, wobei sich die einzelnen Bewohner spezialisiert haben. Sie sind friedlich, ausgesprochen traditionell und „fürchten“ die Welt da draußen. Kein Wunder, dass Binti von Beginn an ein neugieriger Außenseiter ist. In ihrem Besitz befindet sich ein „Edan“, ein mysteriöses technisches Gerät anscheinend ohne Funktionen. Erst in der zweiten Geschichte erfahren Binti und der Leser mehr über dieses Gerät. Auch in dieser folgenden Rückblende wird ein kleines Klischee bedient, aber wichtig ist, dass das „Edan“ nicht nur Bintis Leben rettet, sondern eine Art Talisman darstellt, den sie bei einem ihrer ersten unerlaubten Ausflüge in die Wüste gefunden hat.

 Ihre Kultur wird fast ausschließlich in „Binti“ aus einer subjektiven Perspektive dargestellt. Auch wenn es sie freut, endlich die Erde verlassen zu können, hat sie auch eine durchaus berechtigte Angst, niemals einen Mann zu finden, weil sie sich von den Stammestraditionen zu weit entfernt hat. Niemals wirklich zurückkehren zu können, weil diese Reise sie zu sehr verändert. Und schließlich auch die Achtung ihrer Eltern zu verlieren, die technologisch, aber nicht sozial weit hinter den Veränderungen auf der Erde zurückgeblieben sind. Alles klassische Themen vor allem der Jugendbuchliteratur. Binti muss als Mensch und als Frau durch Erfahrungen reifen, die sie selbst sammelt, welche man aber teilweise nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht.

 Die ersten Begegnungen mit Mitschülern und Lehrern sind enttäuschend. Insbesondere die Konfrontation mit den Autoritäten an Universitäten und Schulen wird sich wie ein roter Faden durch die Serie ziehen. Die Lehrer lehnen arrogant ihren primitiven, aber effektiven Lebensstil direkt oder impliziert ab. Binti kann mit ihren Scheuklappen nichts anfangen. Die Mitschüler reagieren beginnend mit ihren in Stammestradition geflochtenen Haaren, ihrer dunklen Haut inklusiv der Nutzung von Erdfarben weniger als Make Up den als Respekt gegenüber der Natur zurückhaltend bis feindlich. Vorsichtig findet sie Freunde. Bevor der Leser aber an Romanserien wie „Ender“ von Orson Scott Card denken kann, dreht die Autorin mit sadistischer Freude und einer ausgesprochenen Effektivität den Plot auf den Kopf. In der Mensa an Bord des Raumschiffs explodiert plötzlich der Magen eines Mitschülers. Einen Moment später sind alle Menschen an Bord bis auf den Piloten – ein Neutrum, da er/ sie keine relevante Rolle in den weiteren Kapiteln hat – tot. Ermordet von einem Außerirdischen. Die Freunden übernehmen die Kontrolle.

 Dieser Handlungsbruch kommt für Binti wie auch die Leser aus dem Nichts heraus. Desorientiert, verängstigt und im Grunde eingeschüchtert hilft Binti der schon angesprochene Zufall in Form des seltsamen Geräts. Von den Außerirdischen lernt der Leser im ersten Band nur die Medusa kennen. Sie erinnert an eine Art seltensame Fischart, kann allerdings Sauerstoff atmen. Sie braucht in regelmäßigen Abständen Wasser. Mit ihren langen an gigantische Nudeln erinnernden Tentakeln kann sie Menschen ohne Probleme erschlagen. Sie sind fremdartig, unzugänglich, bedrohlich.

 Nach dieser Attacke erweitert die Autorin noch einmal taktisch klug den Hintergrund ihrer Geschichte. Die Menschen haben lange Zeit Krieg gegen die Fremden geführt. Jetzt herrscht ein fragiler Frieden, den die Außerirdischen aus dem Nichts heraus gebrochen haben. Aber nicht mit allen Menschen, sondern dem ebenfalls auf afrikanischen Wurzeln basierenden Stamm der Khoush. Sie werden mehr wie eine Variation der Araber inklusiv grüner Augen beschrieben. Für die Außerirdischen scheint es nur menschliche Khoush zu geben. Sie sind noch nie einem anderen Menschen begegnet und Bintis fremdartiges Aussehen inklusiv des „Edan“ sind die Grund, warum sie nicht sofort getötet worden ist. Natürlich wird die Realität in dieser Hinsicht auch ein wenig gebogen und die Fokussierung auf „gute“ Menschen und „böse“ Aggressoren scheint klischeehaft. Aber diese Differenzierung muss sein, damit der Plot funktionieren kann. Die Khoush bleiben im Grunde aktiv gesichtslos. Sie werden erwähnt und verurteilt, ohne das der Hintergrund den Konflikts erläutert wird.

 Er spielt auch keine Rolle. Im Mittelpunkt der Novelle steht das Kennenlernen, das Überwinden von Vorurteilen und die Beseitigung von Missverständnissen, angetrieben von einer menschlichen Außenseiterin. Denn es stellt sich schnell heraus, dass der Angriff auf das Raumschiff nur eine Reaktion ist und das Schiff als eine Art trojanisches Pferd dienen soll, damit die Außerirdischen ein für sie unersetzliches Artefakt zurückholen können, das sich ausgerechnet in der Oomza Universität befinden soll. Dem Ort, an dem Binti ihre Ausbildung beginnen sollte.   

 Nnedi Okorafor betont sowohl in „Binti“ als auch der Fortsetzung immer wieder, das Bintis Volk eine Rasse der Harmonisierer in Afrikas Kulturvielfalt sind. Ein friedlich lebendes Volk, das im Meer der Gewalt um es herum wie ein ausgleichendes, aber auch ambivalent eingesetztes radikales Element erscheint. Ganz bewusst entwickeln sich die Fakten anders als anfänglich dargestellt. Die Aggressoren sind die Opfer, die sich zu wehren suchen. Der Konflikt wird nicht mit Gewalt, sondern mit Verhandeln aufgelöst, wobei die Autorin es sich stellenweise ein wenig zu einfach macht. Der Raum einer Novelle ist vielleicht nicht ausreichend genug, um den Plot noch dreidimensionaler, noch intensiver und aus verschiedenen Perspektiven zu entwickeln. Aber auch die Fortsetzung leidet unter dem zu abrupten Ende.  

 Ohne Frage ist „Binti“ eine interessante Variation von „Lagune“. Im in Lagos spielenden Roman tauchen die Fremden auf und sucht Asyl. Sie bringen echten Frieden und technologischen Fortschritt. In „Lagune“ wie auch „Binti“ basiert die Technik bis auf das ambivalente „Edan“ in erster Linie auf biologischer Extrapolation. Es sind lebendige Raumschiffe, welche die Tiefen des Alls durchqueren. Es gibt ohne Frage auch Computer und  Waffen, aber Okorafor setzt sie immer pragmatisch zweckmäßig ein. Der Mensch/ das Alien stehen im Vordergrund der Handlung.  In „Lagune“ kamen die Aliens auf die Erde, in „Binti“ reist ein besonderer Mensch indirekt und ungewollt zu ihnen. Am Ende steht in beiden Arbeiten eine seltsame, aber nachvollziehbare Freundschaft.

 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine Verbindung zum Wasser. In „Lagune“ kommen die Aliens aus dem Meer und können mit den Meeresbewohnern interagieren, auch wenn sie vorher ebenfalls in biologischen Raumschiffen das All durchquert hat. Auch wenn Medusa auf den ersten Blick als eine Art Jelly Fisch exotisch wie außergewöhnlich ist, agiert sie durchaus „menschlich“ mit allen Stärken und Schwächen. Diese Humanität raubt den Fremden in beiden Werken an einigen Stellen ihren Aliencharakter. Dabei relativiert die Autorin aber auch stark. Das Massaker an der unschuldigen Schiffsbesatzung, um ein trojanisches Pferd zu erhalten, wird im Verlaufe der Handlung heruntergespielt. Dagegen der Raub des Stachels durch die ebenfalls nicht menschlichen Mitglieder der Universität als großes Unrecht heraufbeschworen. Am Ende der Verhandlungen wird ein Kompromiss gefunden, den die Autorin dank Bintis Offensive als Erfolg verkaufen kann. Die Zwischentöne bleiben in der Luft hängen.

 Stilistisch ausgesprochen überzeugend dargelegt mit einer Mischung aus fast kindlichem Staunen, der eignen ein engenden Kultur mit sechzehn Jahren entkommen und doch Angst vor den neuen Wegen habend ist „Binti“ eine überzeugende Darstellung der Unterschiede alleine schon innerhalb der menschlichen Kulturen und aus dem Blickwinkel der Aliens ein heftiger Hinweis, auf den langen Weg, den die Menschen unabhängig von ihrem technischen Fortschritt noch gehen müssen. Wobei sie in den Tiefen des Alls keiner Rasse begegnen, die ihnen in dieser Hinsicht überlegen ist.        

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 602 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 98 Seiten
  • Verlag: Tor.com (22. September 2015)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Englisch
  • ASIN: B00Y7RWXHU