Dr. Who Urknall

Gary Russell

Gary Russells “Urknall” ist der zweite Band der “Glamour” Trilogie. Das erste Abenteuer spielte über weite Strecken in einer Art fiktiv virtuellen Mittelalter. Erst gegen Ende des unterhaltsamen, aber auch sehr oberflächlichen Romans wurde der Bogen zum ambivalenten „Glamour“ Stein geschlagen. Gary Russell nimmt im Grunde die ausgelegten Fäden nicht auf, sondern beginnt Weihnachten 2015 eine eigenständige Geschichte, in deren Verlauf der Leser eher indirekt und zwischen den Zeilen weitere Hinweis auf den allmächtigen Glamour Stein erhält.

Wie viele von Gary Russells bisherigen Romanen und leider auch ein wenig der Tradition der alten „Dr. Who“ Folgen auf der Spur zerfällt der kurzweilig zu lesende, ohne Frage bizarre wie ambitionierte Roman in zwei sehr unterschiedliche Hälften. Das Ende ist leider das schwächste Element des ganzen Buches. Angesichts der Exposition, der verschiedenen sehr geschickt miteinander verbundenen Handlungsebenen, der exzentrischen Charaktere und einem gut getroffenen Doctor ist es schade, dass Russell angesichts des letzten Bandes der Trilogie auf einer vorläufige „Deus Ex Machina“ Lösung buchstäblich aus einem fiktiven Hut gezaubert zurückgreifen musste und nicht zum ersten Mal sowie wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal in der Geschichte des „Time Lords“ die Räder der Zeit auf Null gestellt hat. Dabei greift Russell mehrmals auf cineastische Variationen zurück. Er streift mit kleinen Miniaturen unterschiedliche Schicksale. In der ersten Hälfte des Buches entwickeln sich diese Menschen/ Wesen und Ereignisse in die eine Richtung, gegen Ende müssen diese Schicksale quasi überschrieben werden, um eine neue oder alte Zeitlinie zu öffnen oder zu reaktivieren. Die Idee der überschriebenen Zeit, der grundsätzlichen Veränderung ganzer Universen und weniger die momentan populäre Ausbildung von Paralleltaschen hat spätestens mit dem „Zeitkrieg“ endgültig Einzug in das „Dr. Who“ Universum gefunden. Die Idee des Überschreibens inklusiv eines entsprechenden Gedächtnisverlustes sogar des Doctors ist nicht schlecht und wird von Russell deutlich effektiver genutzt als es bislang bei einigen anderen Autoren der Fall gewesen ist. Aber das Überschreiben von Geschichte bedeutet auch das „Ende“ von bekannten und markanten Charakteren, die der Autor den Lesern ausführlich vorgestellt hat. Es ist schade, dass kein Gefühl des Verlusts, der Unwiederbringlichkeit dieser Figuren aufkommt. Es sind ja die wichtigsten Charaktere, welche mehr oder minder direkt durch den Einfluss der TARDIS und des Doctors diese Schwankungen der Zeit wieder erkennbar, aber auch verändert überleben. Natürlich ist es schwierig, eine derartige ambitionierte und vom Ansatz her beste Doctor Who Geschichte seit vielen Jahren zufrieden stellend für alle Seite zu beenden, aber rückblickend macht es sich Gary Russell in „Urknall“ – der Originaltitel „Big Bang Generation“ passt deutlich besser zu den bizarren Figuren – viel zu einfach und negiert die ausgesprochen unterhaltsam, inhaltlich rasante erste Hälfte seines Romans.

 Der Ausgangspunkt ist fast klassisch. Aus dem Nichts heraus erscheint eine gigantische, Pyramide offensichtlich außerirdischer Herkunft im Hafen Sydneys. Der Doctor beginnt dieses Ereignis zu untersuchen und später auch mit einem kleinen Team in diese Pyramide einzudringen. Die Pyramide ist der rote Faden, der die Handlung zusammenhält. Gary Russell macht mit diesem Paukenschlag Auftakt sehr viel Richtung. Das Phänomen wird aus der Perspektive überforderter Normalsterblicher berichtet. Hinzu kommt vom Off Erzähler eine semiironische Note.

Ein zweiter wichtiger Handlungsstrang spielt auf einem Hinterwäldlerplaneten, der auf dem Niveau der Frontier des amerikanischen Westen stehen geblieben ist. Viele Kneipe, wobei insbesondere „Das weiße Kaninchen“ ein besonderer Ort zum Verweilen ist. Stimmungstechnisch fühlt sich der Leser ein wenig an eine Mischung aus Spider Robinsons „Callahans Bar“ Geschichte in enger Kombination mit dem typisch britischen Witz eines Douglas Adams erinnert. Hier lernen die Leser auch eine intergalaktische Söldnerin kennen. In einer der wundervoll ausgestalteten Szenen des Buches, die rückwirkend nicht unbedingt viel Sinn machen, wird sie zusammen mit einem ihrer Opfer in benachbarte Zellen gesperrt. Folter auf britisch. Befreit werden die beiden von kopflosen Mönchen eines geheimnisvollen Orderns, die ihnen einen neuen Auftrag geben, der sie natürlich mittelbar zum „Glamour“ und schließlich auch zur Erde führt. Routiniert, aber auch souverän springt Gary Russell anfänglich zwischen den einzelnen Handlungsebenen hin und her. Er hält die Spannung hoch und komprimiert den Plot in einzelne, für sich genommen unheimlich interessante gestaltete Szenen, die dank der vertrauten und neuen Figuren sehr gut unterhalten. Wie eingangs erwähnt hält der Autor weder das Tempo trotz ausreichend Plotmaterial durch, noch kann er zufrieden stellende Antworten liefern. Bei einem Mittelband einer Trilogie ist das nicht unbedingt eine Pflichtvoraussetzung, aber zumindest sollte der Leser nicht weiter mit ambivalenten Hinweisen hingehalten werden.

 Vor allem auf der charakterlichen Ebene überzeugt der Roman. Gary Russell hat einen sehr guten Zugriff auf den zwölften Doctor. Es gibt Hinweise auf frühere Inkarnationen der Figur und trotz seiner Allgegenwart lässt Gary Russell ihn nicht immer gewinnen. Die Szene mit dem Kind und dem omnipotenten Schraubenzieher, sowie den schließlich deutlich größeren erzürnten außerirdischen Eltern ist inhaltlich nicht neu, aber so gut geschrieben, das der Leser sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann.

 In seinem Nachwort erwähnt Gary Russell, das die Produzenten der Serie ihn überredet haben, auf eine andere Nebenfigur aus dem inzwischen sehr großen „Dr. Who“ Kosmos zurückzugreifen als der Autor ursprünglich geplant hat. Benny Summerfield ist vielen Fans aus den Hörspielen bekannt. Wer die Figur kennt, wird sich in diesem Universum vertraut fühlen. Für Leser, die bislang keinen Zugriff auf diesen wichtigen „Companion“ aus den angesprochenen neuen Abenteuer hat, bleibt ein Gefühl der Verwirrung zurück. Gary Russell verzichtet auf weitergehende Erklärungen. Die Interaktion zwischen den beiden ursprünglich sich gut kennenden Figuren beginnt auch dialogtechnisch überzeugend und ansprechend, bevor Gary Russell in dem immer mehr unnötig und hektisch an Tempo gewinnenden Roman diese notwenige, aber auch distanziert wirkende Beziehung zurückfährt und stellenweise sogar ignoriert.

 Mit der Auftragsmörderin Kik verfügt der Roman über eine starke Frauenpersönlichkeit, die zu schnell Benny Summerfield in den Hintergrund drängt.  Ihr eher unbegründetes Interesse an Peter wirkt aufgesetzt und sollte wahrscheinlich einen weiteren Brennpunkt etablieren, der sich aber den Roman als Ganzes betrachtend leider nicht entfaltet. Es ist einer der zahlreichen Nebenkriegsschauplätze, der in Vergessenheit gerät. Auch macht diese Beziehung Kik als Charakter angreifbarer, zumal sie vorher als unfehlbare professionelle Auftragsmörderin mit einem natürlich bizarren Sinn für Humor etabliert worden ist. Wenn ich schon in der Tradition einer Reihe von Klischees eine wirklich „böse“ Auftragskillerin etablieren, dann sollte ich diese Figur auch auf einem Niveau bis zum Ende durch die Handlung führen und nicht wie an einigen Stellen vieles wieder zu Gunsten des abrupten Showdowns relativieren.

 Alle weitere Nebenfiguren beginnend beim Barkeeper und endend zum Beispiel bei Ruth haben ihre Momente des Ruhm, fügen sich aber eher zu unauffällig, zu stark konstruiert n die laufende Handlung ein, als das sie mehr als einen Moment überzeugen können. Positiv gesprochen diesen sie aber auch nicht nur als Reflektionsfläche für den  dozierenden Doctor, so dass ein wenig mehr Mühe, eine Spur mehr Esprit sie zu abgerundeten Figuren in dieser Geschichte hätte machen können.

 Zusammengefasst ist „Urknall“ vor allem auch in einem direkten Vergleich zum enttäuschenden ersten Teil dieser experimentellen Trilogie mit drei sehr unterschiedlichen Grundthemen und stilistisch verschiedenen Autoren ein deutlicher Fortschritt. Zu Beginn rasant geplant und extrapoliert fallen die einzelnen Handlungsebenen noch souverän zusammen, bevor der Roman auf einer zu bekannten, zu schematischen Note endet. Der Stab über die „Glamour“ Trilogie kann erst mit dem letzten Roman gebrochen werden, aber all das hier verschenkte Potential ist schon eine Leseempfehlung wert, auch wenn Gary Russell immer wieder bewiesen hat, dass er  in anderen „Dr. Who“ Geschichten noch besser strukturieren, wenn auch nicht -  positiv gesprochen - viel besser als im vorliegenden Band schreiben kann.

  • Taschenbuch: 250 Seiten
  • Verlag: Cross Cult (22. August 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3864258561
  • ISBN-13: 978-3864258565