Mind Control

Stephen King

Der Heyne Verlag hat sich mit dem viel zu einfachen, vor allem einen wichtigen Aspekt des Plots in zwei Worten zusammenfassenden deutschen Titel keinen Gefallen getan.  Im Original heißt der die Trilogie abschließende Band „End of Watch“. Ein in mehrfacher Hinsicht zu interpretierender Begriff. Damit ist der Moment gemeint, in dem alt gediente Polizisten ihren Ruhestand antreten. Oder ehemalige Polizisten sterben. Vielleicht auch für Beamte, die während des Dienstes ums Leben kommen Es ist ein melancholischer Titel, der in einer nicht kitschigen, aber ansprechenden Szene gipfelt, welche diese qualitativ sehr differenziert zu betrachtende Trilogie versöhnlich abschließt. Wie der inzwischen Angst einflößende Auftakt sowohl dieses Buches als auch des Auftaktbandes „Mr. Mercedes“ zeigt, das die Romane über sehr viel Potential über eine "normale" Kriminaltrilogie mit einigen wenigen, dann aber effektiv eingesetzten übernatürlichen Elementen verfügen könnten. Leider ist „Mind Control“ inhaltlich der schwächste Band der Serie. Das liegt auch daran, weil Stephen King unverständlich auch einen Bogen zu seinen ersten Büchern wie „Carrie“, „Firestarter“ oder von der Grundidee her auch „Christine“ geschlagen hat. Während die meisten Täter gleichzeitig in diesen Romanen Opfer gewesen sind, ersetzt der Amerikaner diese dreidimensional gezeichneten und verzweifelten Kreaturen mit einem psychopathischen Massenmörder Brady Hartsfield, der Gehirntod im Koma liegt und wie es sich in dem vorliegenden Buch zeigt, doch relativ schnell über verschiedene technische Instrumente wieder Einfluss erlangt. Dabei umgeht Stephen King unverständlicherweise die Mechanismen des Krimigenres und zeigt, dass Hartsfield tatsächlich für eine Reihe von Selbstmorden und Toten verantwortlich ist. Natürlich wollten das weder die Mediziner in seiner Klinik noch die örtliche Polizei glauben. Bei einigen Szenen wie der „sadistischen“ Krankenschwester, die natürlich nicht nur vom als Kontrollfetischist agierenden Vorgesetzten umgehend entlassen, sondern von Hartsfield mittels Fernsteuerung auch bestraft wird, scheint der Plot in die achtziger und neunziger Jahre zurück zu fallen, in denen Stephen King ohne Frage sadistisch brutale, aber nicht exzessive Tode beschrieben hat, um das Tempo seines Romans hoch zu halten. Bei der Lektüre von „End of Watch“ stellt sich unwillkürlich die Frage nach dem Sinn. Warum hat Stephen King zu einem so alten und vor allem wenig originellen Mittel gegriffen, um seine Trilogie abzuschließen? Zu Beginn wiederholt er aus einer anderen Perspektive den Auftakt des ersten Buches, in dem ein Mercedes in eine vor einem Jobcenter wartende Menschenmenge fährt und viele der zusammengedrängt wartenden Arbeitslosen tötet oder schwer verwundet. Da diese Art von terroristischen Verbrechen inzwischen leider Realität geworden sind, wirkt die Szene nach beängstigender und vor allem brutaler. Seine Kollegen rufen Hodges und Holly dann zu einem Doppelselbstmord. Dabei handelt es sich um eines der Opfer des Autoangriffs und dessen Mutter. Die Tochter ist schwerst behindert und muss ihr Leben im Rollstuhl verbringen. Allerdings macht der Selbstmord eher aus Hintergrundgründen wenig Sinn, da sich Mutter/ Tochter mit diesem eingeschränkten, aber durch den Rückhalt der Versicherungen auch finanziell gut erträglichen Leben arrangiert haben. Auch finden sich eine antiquierte Spielkonsole im Haus und auf dem Computer keine Hinweise auf die Art des Selbstmords.

Hodges ist der Ansicht, dass Hartsfield zumindest indirekt seine Finger im Spiel hat und beginnt mit seiner Partnerin Holly, weiteren Spuren in Richtung Selbstmord zu folgen.

Wie schon erwähnt setzt Stephen King die einzelnen Versatzmuster durch die Nutzung von Doppelebenen zu schnell zusammen. Dabei greift der Autor leider unerklärlicherweise selbst auf selbst für sein umfangreiches Werk unnötige Klischees zurück. Der Leiter des Krankenhauses experimentiert mit bislang nicht frei gegebenen Medikamenten – auch ein Motiv aus den siebziger und frühen achtziger Jahren in Stephen Kings Werk – am komatösen Hartsfield und scheint damit den inneren/ geistigen Heilungsprozess deutlich zu beschleunigen. Hartsfield kann relativ schnell andere Menschen kontrollieren und hat sich dank des Zugriffs auf diverse Konten aus einer Pleite gegangenen Firma den Zugriff auf eine unbekannte Anzahl von Spielkonsolen gesichert, mit denen er einen erneuten Massenmord plant. Ein unschuldiges „Fische Fangen“ Spiel auf den Konsolen wird dank Hartsfield Fähigkeiten und einer willigen Helferin umprogrammiert, um die Menschen zu „hypnotisieren“ und schließlich zu Selbstmördern zu machen, wobei sich ihre Taten in erster Linie auf die Selbsttötung beschränken. Nach dem Anschlag mit dem Wagen sowie dem gescheiterten Bombenattentat – beides wichtige Aspekte des ersten Buches – versucht Stephen King angesichts der Welle von Selbstmordattentaten in den letzten Jahren nicht noch Öl in das Feuer zu gießen und die mittels des Spiels willenlosen Hartsfield Opfer zu Attentätern/ Massenmördern zu machen. Wie oft in Stephen Kings Romanen stellt der Amerikaner in erster Linie die Fakten dar und kümmert sich weniger um die Details. Die ausführlichen Beschreibungen des Fischspiels mit seinen psychedelischen Farbkombination hemmen vor allem auf der Hartsfield Handlungsebene das Tempo. Dazu kommen dessen bekannte gedankliche Exzesse, so dass vieles leider sehr schematisch und für Stephen King ungewöhnlich auch vorhersehbar erscheint. Das Ende des Buches ist routiniert und erschreckend unspektakulär. Inhaltlich ist „Mind Control“ – so hart es klingen mag – nicht nur der schwächste Band dieser zu Beginn ungewöhnlichen und realistischen Trilogie, sondern der am meisten am Reißbrett konstruierte und nicht mit dem Herzen erzählte Stephen King Roman seit vielen Jahren.

Aber es gibt auch eine emotionale, sehr viel mehr ansprechende und vor allem dem amerikanischen Originaltitel „End of Watch“ gerecht werdende Handlungsebene. Bill Hodges erfährt, dass er an einem im Grunde unheilbaren Krebs leidet. Was ebenfalls auf den ersten Blick wie ein Klischee erscheinen könnte, wird auch durch das Verhältnis zwischen Holly und Hodges zum emotional Kern eines in dieser Hinsicht nicht nur überzeugenden, sondern vor allem ohne Pathos oder Kitsch reifen Buches, in dem Stephen King mit der inzwischen markanten unauffälligen Altersweisheit auf die Wichtigkeit des Lebens, das würdige Sterben und schließlich auch die Haltung eines aufrechten Mannes eingeht, der wie in Sam Peckinpahs großartigen Western „Ride the High Country“ sein Haus „justified“ , mit reinem Gewinnen betreten möchte. Hodges weiß schon lange vor der Diagnose, dass er schwer krank ist. Auch am Ende des Buches gibt es sich optimistisch, den Krebs besiegen zu können. Gegen alle Wahrscheinlichkeiten. Wie während der Jagd auf den Massenmörder Hartsfield ist er stoisch dickköpfig, aber auch entschlossen und vor allem intelligent immer wieder auf die Herausforderungen reagierend. Die Idee, das dieser „Mr. Mercedes“ gegen jede Logik und alle Wahrscheinlichkeiten nicht nur Leben, sondern vor allem wieder „erwachen“ könnte, treibt ihn an. Holly an seiner Seite mit ihrer humorvollen, immer wieder pickenden, aber auch verständnisvollen Art ist dieses Mal im Vergleich zum mittleren Band „Finders Keeper“ der Serie einen Schritt zurück. Erst wenn es in den technischen Bereich geht – eine „Deus Ex Machina“ Variante -, übernimmt sie das Kommando. Über drei Bücher hat Stephen King diese beiden so realistischen Figuren nicht nur mit einem dreidimensionalen Leben erfüllt, er hat sie dem Leser näher gebracht. Vom Leben zumindest verwundet, wenn nicht auch gezeichnet sind sie die Identifikationsfiguren des Romans und hätten einen realistischeren Fall verdient. Zumindest bei der Lektüre des vorliegenden Bandes bleibt das unbestimmte Gefühl zurück, ob Stephen King nicht einen neuen Fall hätte entwerfen sollen, um Hodges und Holly in einer Anlehnung an die zahlreichen Hardboildes Autoren, die King über Jahrzehnte geschätzt hat, nicht dreidimensionaler und noch eigenständiger hätte zeichnen können.

 Actiontechnisch solide mit der aufgesetzten Botschaft – siehe auch „Cell“ -, das exzessives Computerspielen im Gegensatz zum Lesen oder Sport treiben schadet wirkt „Mind Control“ wie eine distanzierte Zusammenfassung von Stephen Kings Frühwerk, die vor allem dank der reifen und mit sehr viel Einfühlungsvermögen/ Erfahrung hinsichtlich der Gestaltung vieler Nebenfiguren sowie Holly/ Hodges kurzweilig zu lesen ist, aber inhaltlich leider viel zu wenig befriedigt.

  • Gebundene Ausgabe: 528 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (12. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345327086X
  • ISBN-13: 978-3453270862
  • Originaltitel: End of Watch
Kategorie: